Geschichten vom Wiener Nähcafe

13. September 2016

“Der große Vorteil bei handwerklichen Tätigkeiten ist, dass man nicht viel erklären muss, wenn es nicht möglich ist, sich mittels Sprache zu verständigen”, erzählt Gabriele Helm. Entstanden ist das Nähcafe im Februar 2016 auf Initiative von Dilek und Gülay, zwei Frauen mit türkischer Herkunft. Zusammen mit Margit Wolfsberger, einer Ethnologin, die den Verein Dialog/Institut für interkulturelle Beziehungen gegründet hat und Theresia, einer Schneiderin, die derzeit in Karenz bei ihrer kleinen Tochter daheim ist, wurde die Idee geboren. Jeden Mittwoch Vormittag wird im Wiener WUK zwischen 10 und 13 Uhr ein offener Raum für Frauen mit Migrationshintergrund angeboten, um gemeinsam zu nähen und nähen zu lernen.

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“Ich kam eigentlich durch einen Zufall dazu, da ich einmal bei unserem Flüchtlingsprojekt in der Erste Bank mit meiner Kollegin bei der Strick- und Häkelrunde dabei war. Wir wurden eingeladen, auch hier teilzunehmen,” so Gabriele Helm zur Projektidee. Begonnen hat das Projekt mit gespendeten Pölstern und Stoffen, meist alte Bett- oder Tischwäsche. Die oft einfarbige Bettwäsche wurde zerschnitten, kreativ bedruckt und zu schönen bunten Pölstern wieder zum Leben erweckt. Diese Pölster wurden dann an die in der nahen Umgebung befindlichen Flüchtlingsheime verschenkt. Oft konnten die Frauen sie auch in ihrer ersten Wohnung in Wien gut gebrauchen.

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Es blieb nicht nur beim Kissennähen. Einmal etwas Schönes für sich selber nähen zu können, war der Wunsch vieler Frauen. Aber das Geld für Material fehlte. Mit der Unterstützung für das Projekt  konnten Hängetaschen, Beuteltaschen, Tunikas, Kinderkleider, Babybettwäsche, usw. genäht und mit Stofffarben verziert werden. Eine zur Verfügung gestellte Nähmaschine wurde repariert und ist nun wieder funktionsfähig. Die Frauen hatten auch große Freude daran, aus Kartoffeln Stempel zu schneiden. Der Kartoffelstempel wurde oft mithilfe eines Keksausstechers gefertigt, in blaue oder rote oder gelbe Textilfarbe gedruckt und dann wurde fröhlich drauflosgestempelt. Das ist die Lieblingsbeschäftigung der jungen palästinensischen Frauen, die meist im Trio auftauchen. Sie sind aus einem Flüchtlingslager in Syrien nach Österreich gekommen. Am liebsten zeigen sie Bilder von sich und ihren Lieben.

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Gabriele Helm über die fleißigen Näherinnen: “Im Nähcafe sind meistens zehn bis zwölf Frauen tätig. Manche kommen sehr regelmäßig, also fast jedes Mal. Nisa, wie ich eine Frau um die Fünfzig, hat im Laufe der Zeit bereits eine dunkle Bluse und eine mit Leopardenmuster für sich, sowie eine Hose für ihren Mann genäht. Auch Fatima kommt sehr gerne. Sie ist bereits Großmutter und hat große Freude unter ihren Enkelinnen mit ihren wunderschönen handgenähten und bestickten Taschen bereitet.”
Eine andere Näherin, Rahima, hat schon mehrere Kleidchen für ihre kleine Tochter genäht und schon gute Nähkenntnisse. Eine private Spenderin hat ihr eine Nähmaschine organisiert, damit sie auch zu Hause arbeiten kann.

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Im Laufe der Zeit sind auch viele individuell gestaltete Taschen entstanden, die auch mit weniger Erfahrung leicht zu nähen sind. Sie wurden mit bunten Blumen bestickt. Bunte glitzernde Dinge, Knöpfe und was sich noch so alles finden ließ wurde aufgenäht. Also hatten wir nun jeden Mittwoch sechs funktionstüchtige Nähmaschinen, eine Menge Plastikbeutel voll gespendeter und gekaufter Stoffe, Garne, Textilfarbe, etc.  Jeden Mittwoch wird alles hergeräumt und auf den Tischen ausgebreitet. Dann wird entweder Stoff für ein neues Werkstück ausgesucht oder das beim letzten Mal begonnene Kunstwerk weiter vollendet. Alle Damen haben eine große Freude daran und strahlen uns immer freundlich an.

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Natürlich sind auch die oft selbstgebackenen Kuchen und Torten immer sehr willkommen. Begriffe wie Nusstorte, Mohnkipferl, Filterkaffee und Erdbeergolatsche muss man vielleicht noch vorher erklären, aber dann finden sie großen Anklang.
Das Nähcafe im WUK ist offen für alle Frauen in Wien und manchmal taucht ein neues Gesicht auf. So wie zum Beispiel Bernadette, eine Studentin, die im Rahmen ihrer Diplomarbeit etwas über Flüchtlingshelfer und -helferinnen schreiben möchte und ihren Bezug zu Religion.  Sie kann gut nähen und die Frauen anleiten. Theresia ist als Schneiderin die Seele des Ganzen und ihre Hilfe und Anleitung sehr gefragt mit ihrer ruhigen Art und dem tollen Know-how aus ihrer Erfahrung aus Theaterwerkstätten.

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Gemeinsam nähen, plaudern, lachen, Geschichten austauschen, Tee oder Kaffee trinken. Das Gefühl, hier willkommen zu sein, tut allen gut. Auch der große Raum mit den hohen hellen Fenstern ist toll, hat aber den Nachteil, dass Menschen von der Straße hereinsehen können, was vielen Frauen auch unangenehm ist. Zum Umziehen und Probieren muss man in einen Nebenraum gehen. Es ist für viele der geflüchteten Frauen ein Luxus, so einen Ort für Freizeitaktivitäten nutzen zu können. Eine junge Frau, die aus der Nähe von Damaskus stammt, hat sich hier ein einfaches langes Sommerkleid genäht. Es ist schön, sie lachen zu sehen, wenn sie das Kleid probiert und sieht, wie hübsch es geworden ist. Kürzlich wurden die Gruppe zu einem Textilgastprojekt bei der Ausstellung „AnLand“ des Vereins IntAkt im Oktober 2016 im WUK eingeladen. Alle freuen sich schon darauf, sich mit den Stoffresten künstlerisch zu betätigen. Alle Beteiligten haben an diesem Projekt mit großer Freude ehrenamtlich gearbeitet.